Und weiter geht’s mit unserer Interviewreihe. Dieses Mal dabei Jacqueline Esen a.k.a. Fotonanny aus München.

Liebe Jacqueline, wir freuen uns, dass Du als Interviewpartner dabei bist!

Erzähle uns doch zu erst einmal, wer Du bist! 

Ich heiße Jacqueline Esen und fotografiere seit meinem neunten Lebensjahr. Bis Mitte der 1990er Jahre war es ein intensives Hobby. Damals konnte ich erste Reisemotive in einer – analogen – Bildagentur unterbringen, und bekam immer mehr Fotoaufträge. Die habe ich neben meinem (langweiligen) Vollzeitjob mit Begeisterung angenommen. Nachdem ich auf die digitale Fotografie umgestiegen war, stellte sich die Frage, ob ich das Fotografieren nicht doch zu meinem Beruf machen sollte. 2005 hat das Herz über den Verstand gesiegt. Ich begann mit Porträt- und Eventfotografie, fing an Kurse zu halten, und schrieb Artikel über fotografische Themen. Daraus entwickelte sich die Zusammenarbeit mit dem Galileo-Verlag (heute Rheinwerk), für den ich seit 2009 Bücher über Fotografie und Kameras schreibe. Schreiben ist und war immer ein genauso großes Hobby wie fotografieren, und so kann ich heute beide Leidenschaften optimal miteinander verbinden.

Als Fotonanny blogge ich ausschließlich über Fotografie (www.fotonanny.de). Ursprünglich gestartet bin ich im Internet mit der Domain www.betrachtenswert.de , die heute eine Drehscheibe für alle meine Aktivitäten im Netz ist.

Wann hast Du Dein erstes Foto gemacht und was war es?

Ich war neun, und auf einer Baustelle gegenüber brannte eine Holzhütte. Von unserem Balkon aus konnte man das Feuer und den Feuerwehreinsatz genau beobachten. In der Kamera meiner Mutter war ein Farbnegativfilm mit zwölf Bildern, neun waren schon belichtet. Die restlichen drei mussten für meine erste Fotoreportage reichen. Die Kamera war eine Agfa Isola, ein Erbstück meiner Großmutter. Es war schwierig, den 6×6 cm Rollfilm einzulegen, und man konnte fast nichts einstellen. Meine Mutter hat sehr selten fotografiert, darum habe ich mir die Kamera einfach angeeignet. Leider sind die frühen Bilder und Negative verloren gegangen. Daraus habe ich gelernt, dass man sich bei der Archivierung nicht auf andere Leute verlassen darf. Seit meinem zwölften Lebensjahr ist das Archiv lückenlos und hat acht Umzüge überstanden.

Woher bekommst Du Deine Inspiration für neue Fotos oder Foto-Projekte?

Eigentlich überall, wir werden ja mit Fotos überflutet. Die meisten meiner Bilder entstehen ungeplant im Vorbeigehen, wenn ich etwas sehe. Im Urlaub oder in einer neuen Umgebung entdecke ich dauernd Fotomotive. Wenn es diese sogenannte „Motivklingel“ gäbe, dann würde es bei mir dauernd bimmeln. Für Leute, die nicht fotografieren, ist es unglaublich anstrengend, mit mir unterwegs zu sein, weil ich am liebsten alle zwei Meter stehenbleiben würde. Instagram oder andere Fotoplattformen sind für mich eher eine Überforderung, darum nutze ich diese Medien nur häppchenweise. Meistens kommt dann der Gedanke: „Ach ja, das könntest du auch mal wieder machen…“.

Wie wichtig ist Dir Technik beim Fotografieren?

Ganz am Anfang war sie unwichtig, ich konnte an meinen Kameras sowieso nichts einstellen. Trotzdem ist mir schnell aufgefallen, dass manche Bilder besser waren als andere. Ich habe die Fotos auf einem Tisch ausgebreitet und sortiert. Von den Guten wollte ich mehr machen. Auf den Fototüten gab es damals kurze Fototipps, die ich regelrecht verschlungen habe. Mein Cousin, der sich mit dem Fotografieren besser auskannte, erklärte mir, warum ich mit meiner Kamera bestimmte Fotos nicht machen konnte. Es fielen die Worte Blende und Belichtungszeit. Also fing ich an Bücher zu lesen und sparte das Taschengeld für meine erste Spiegelreflexkamera.

Später wurde ich Mitglied in einem Fotoclub, der Wettbewerbe und Ausstellungen machte. Der Dreisatz „Idee – Gestaltung – Technik“ ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Gleichzeitig trat ich einer anderen Fotogruppe bei, die sich mit künstlerischer Fotografie beschäftigte. Was im Fotoclub durchfiel, wurde von den Fotokünstlern beklatscht und umgekehrt. Diese Heiß-Kalt-Duschen bei den Bildbesprechungen waren prägend: Ich habe gelernt, wie wichtig die Zielgruppe ist, für die man fotografiert.

Wenn ich heute Kamerahandbücher schreibe, ist die Technik extrem wichtig. Trotzdem sollte man sie nicht überbewerten. Sie ist Mittel zum Zweck, und der Zweck ist für mich immer ein „gelungenes“ Foto. Was „gelungen“ ist, definiert jeder anders. Die technischen Parameter Blende/Zeit/ISO sind elementar, weil sie das Bildergebnis direkt beeinflussen. Brennweite ist wichtig, wenn ich einen Eisvogel oder einen Sportler in hundert Metern Entfernung fotografieren will. Das werde ich mit einem Handy oder mit 50mm Festbrennweite gar nicht erst versuchen. ISO-Rauschen ist wichtig, wenn ich meine Motive nachts und ohne Stativ machen will. Deshalb ist die Technik vor einer Kaufentscheidung wichtig. Was will ich fotografieren? Passen der Bedienkomfort und die Handlichkeit zu meinen Lebens- und Fotografiergewohnheiten? Beim Fotografieren denke ich erst ans Motiv und die Gestaltung, dann an die nötigen Kameraeinstellungen.

Welches Deiner Bilder oder Serien bewegt Dich? Und warum? Zeigst Du es uns?

Anfangs habe ich mich auf Motive konzentriert, die man sich gerne an die Wand hängt. Das machen wir als Fotografen ständig: Wir suchen nach dem Schönen, setzen es gut in Szene, und optimieren die Fotos anschließend per Bildbearbeitung. Oft sind die Bilder schöner als die Wirklichkeit. Die „störenden Elemente“ blenden wir aus, so funktioniert Bildgestaltung. Heute mache ich das Störende manchmal zu meinem Hauptmotiv. Ich kann mich für fast jedes fotografische Genre begeistern, darum mache ich sehr unterschiedliche Fotos. Mir sind die kleinen Momente wichtig, die wir alle jeden Tag erleben, aber ganz schnell wieder vergessen. Dinge, die uns jahrelang begleitet haben, verschwinden aus dem Straßenbild, andere kommen dazu. Solche Veränderungen versuche ich in meinen Fotos einzufangen, Skurriles zieht mich magisch an. Ein Teil meiner persönlichen Fotografie ist realistischer und gesellschaftskritischer geworden. „Schöne“ und klassische Motive sehe und fotografiere ich natürlich auch.

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Bildserien sind mein Steckenpferd, manchmal wird es auch eine Sequenz, wie hier.

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Ich hoffe, dass ich zum Fotoprojekt „To-Go-Kultur“ irgendwann KEINE Motive mehr finde.

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Wenn ich Kamerahandbücher schreibe, suche ich mir schwierige Motive und ziehe alle technischen Register.

Kann man (fotografische) Kreativität lernen?

Ich denke schon. Wenn man sich für ein Thema interessiert, ist es einfacher, neue Sichtweisen zu entdecken. Wer keine interessanten Motive findet, oder nicht weiß, wie man sie fotografisch umsetzt, kann sich anschauen, wie andere Leute das gemacht haben. Normalerweise entstehen ganz unterschiedliche Bilder, sobald mehrere Fotografen zusammen an einem Ort sind. Momentan wird viel kopiert, Stichwort Instagramability. Viele Fotos sind wunderschön, aber in Summe eher monoton und austauschbar. Sie bleiben nicht im Gedächtnis. Deshalb sind „Postkartenmotive“ gut zum Üben, aber man sollte sich irgendwann von diesen Vorbildern lösen. Kreativität besteht ja gerade darin, nicht das zu machen, was alle anderen machen.

Wenn Dich jemand fragt, wie er „bessere“ Bilder machen kann: Welchen Rat hast Du für ihn oder sie?

Zuerst würde ich fragen, was dieser Jemand mit „besser“ meint, und ich würde mir ein paar Bilder zeigen lassen. Grundsätzlich würde ich folgenden Stufenplan vorschlagen:

  • Fang an zu verstehen, wie Deine Kamera funktioniert, um technische Fehler zu erkennen und zu vermeiden.
  • Orientiere Dich an tollen Fotos, bis Du in der Lage bist, sie handwerklich nachzufotografieren.
  • Denk daran, dass die meisten tollen Bilder massiv nachbearbeitet sind!
  • Wende Dich Deinen eigenen Motiven und Ideen zu. Mach viele Fotos. Finde heraus, was Dir selbst gut / noch nicht so gut gefällt, und versuche es zu verbessern.
  • Finde Freunde, die Dein Interesse für Fotografie teilen, und tausche Dich mit ihnen aus.
„Du hast doch eine super Kamera! Bringst Du die zu unserer Hochzeit mit?“ Deine Antwort?

Entweder komme ich als Gast oder als Fotograf. Da ich nicht mehr als Profi arbeite, hat sich die Frage erledigt. Falls Du noch keinen Profi gebucht hast, stelle ich gerne den Kontakt zu Kollegen her.

Ein Wort, eine Meinung

Social Media: Feine Sache, wenn man sich nicht darin verliert – massiver Zeitfresser!

Megapixel: sind wichtig für den Druck, vor allem bei größeren Formaten.

Inspiration: Mit offenen Augen durch die Welt gehen.

HDR: Manchmal super, oft daneben. Geschmackssache.

Photoshop: Für Bildmontagen oder Verfremdungen ist mir jedes Mittel recht.

Analog: War eine schöne Zeit, aber ich möchte nicht mehr zurück.

Zeig mir Deine Bilder, ich sag Dir, wer Du bist.
© Jacqueline Esen // Ein Beispiel für Dinge, die aus dem Alltag (fast) verschwunden sind…
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© Jacqueline Esen // Ein Beispiel für Dinge, die aus dem Alltag (fast) verschwunden sind…

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© Jacqueline Esen // Alltag in München, 2018

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© Jacqueline Esen // Zufallsmomente, Streetfotografie: Oft hat man nur wenige Sekunden Zeit zum Gestalten.

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© Jacqueline Esen // Bewegte Kamera – immer wieder toll für Experimente.

 

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© Jacqueline Esen // Photoshop oder andere Programme verwende ich nicht nur zur Bildoptimierung.

Danke

Danke für das Interview!

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